Mängelhaftung nach OR und SIA 118
Die Mängelhaftung umfasst die Verpflichtungen und Rechte, die entstehen, wenn ein Werkvertrag nicht ordnungsgemäss erfüllt wird. Sie ist im schweizerischen Obligationenrecht (OR) und in der SIA Norm 118 geregelt, welche speziell für Bauarbeiten gilt. Dieser Beitrag zeigt die unterschiedlichen Vorgehensweisen bei Mängeln je nach Erlass auf.
Übersicht
Begriff Gewährleistung
Die Gewährleistung ist allgemein eine Haftung des Verkäufers für Mängel an einer Kaufsache. Dies gilt bei Werkverträgen insbesondere unter den Artikeln 367 ff. OR. Eine Gewährleistungspflicht besteht also, wenn das Werk mangelhaft ist.
Ein Mangel liegt im Rahmen eines Werkes bereits vor, wenn dieses vom vertraglich Vereinbarten abweicht. Zum Vertragsinhalt gehören auch (sofern vertraglich nicht anders bestimmt) gewisse Regeln der Technik, welche für die einzelnen Branchen spezifische Qualitätsgrundsätze festlegen. Beispielsweise weicht bei einem Häuserbau die Verwendung von schlechtem Zement von diesen Regeln der Technik ab und es würde somit ein Mangel vorliegen. Ebenso gilt diese Definition für SIA 118 Norm. Auch dort gem. Art. 166 SIA-Norm 118 ist die Rede einer Vertragsabweichung.
Mängelrechte
Gemäss Obligationenrecht
Liegt ein Mangel vor, können gestützt auf Art. 368 OR unterschiedliche Mängelrechte geltend gemacht werden:
Nachbesserung (Mangelbehebung);
Minderung (Preisreduzierung);
Schadenersatz (Ausgleich des durch Mangel entstandenen Schaden);
Wandelung (Rückabwicklung des Kaufes).
Gemäss SIA-Norm 118
Gemäss SIA-Norm 118 kann der Besteller erst nur die unentgeltliche Nachbesserung verlangen und nicht Wandelung oder Minderung nebst Schadenersatz. Diese Mängelrechte sind erst möglich, wenn der Unternehmer die Nachbesserung nicht innert angemessener Frist erbringt (Art. 169 SIA-Norm 118).[1]
Unterscheidung der Mängelhaftung in Bauwerkverträgen
Bei der Anwendung des OR im Vergleich zur SIA 118 Norm
Beim Häuserbau stellt sich oftmals die Frage nach dem korrekten Umgang mit vorhandenen Mängeln. In der Praxis werden oftmals Sondervereinbarungen getroffen. Eine solche typische Sondervereinbarung ist die in der Baubranche übliche SIA 118 Norm, welche technische Normen bezüglich der «allgemeinen Bedingungen für Bauarbeiten» regelt. Damit diese jedoch Anwendung findet, muss sie von den Parteien übernommen werden (ausdrücklich oder stillschweigend). Ohne vereinbarte Sonderbestimmungen gelangen die allgemeinen Bestimmungen nach Obligationenrecht zur Anwendung.
Folgend findet sich eine kurze Gegenüberstellung der beiden Anwendungsformen anhand des Vorgehens und der geltenden Fristen.
OR | SIA 118 |
Nach Bauabschluss | Nach Bauabschluss |
Die Ablieferung des Werkes erfolgt physisch durch Übergabe oder auf der Baustelle durch eine ausdrückliche oder stillschweigende Mitteilung.[2] Ebenso entspricht eine Ingebrauchnahme oder Weiterbau des Werkes einer Ablieferung. | Der Unternehmer leitet die Abnahme dadurch ein, dass er dem Besteller die Vollendung des Werkes anzeigt (Art. 158 Abs. 2). Ebenso entspricht eine Ingebrauchnahme oder Weiterbau des Werkes einer Abnahme |
Prüfung Die Prüfung erfolgt gemeinsam mit dem Unternehmer (Art. 158 Abs. 2) und es werden Mängel in einem Prüfprotokoll aufgenommen (Art. Art. 158 Abs. 3). Wenn ersichtliche Mängel nicht ins Prüfprotokoll aufgenommen werden oder auf die Geltendmachung verzichtet wird, gilt davon die Vermutung, dass das Werk samt diesen Mängeln genehmigt wurde (Art. 163 Abs. 1 & 2). Des Weiteren gilt ein Werk als abgenommen, wenn seitens Bestellers auf eine Prüfung verzichtet wird (Art. 164). | |
Nach Abnahme | Nach Abnahme |
Art. 367 Abs. 1 OR verlangt nach einer Prüfung des Werkes seitens des Bestellers, sobald es nach dem üblichen Geschäftsgang tunlich ist. In dieser Zeit können allfällige Mängel gemeldet werden. Das Bundesgericht spricht von einer siebentägigen Frist ab Vollendung des Werkes.[3] Im Einzelfall kann aber von dieser Frist abgewichen werden. Sofern der Besteller die Prüfung und anschliessende Anzeige der Mängel unterlässt, gilt das Werk gemäss Art. 370 Abs. 2 OR als genehmigt. Gemäss Art. 370 Abs. 1 OR ist nach dieser Prüfungsfrist der Unternehmer von Haftpflichtansprüchen befreit (sofern es sich um offene oder verschwiegene Mängel handelt). Handelt es sich um versteckte Mängel, müssen diese gemäss Art. 370 Abs. 3 OR sofort nach Entdeckung angezeigt werden.[4] Auch hier gilt eine 7-tägige Frist. | Wenn nichts anderes vereinbart worden ist, gilt nach Art. 172 eine Rügefrist von zwei Jahren ab der Abnahme, in welcher der Besteller jederzeit weitere Mängel rügen kann (sofern sie nicht genehmigt sind). Der Unternehmer muss diese dann beseitigen. Der Unternehmer trägt in dieser Zeit die Beweislast gemäss Art. 174 Abs. 3. Das bedeutet, er muss beweisen, dass ein entdeckter Mangel nicht von ihm verursacht wurde. |
Nach Rügefrist (2 Jahre nach Abnahme) | |
Versteckte Mängel sind gemäss Art. 179 Abs. 2 weiterhin vom Unternehmer zu beseitigen. Die Beweislast liegt sodann nach Art. 179 Abs. 5 jedoch beim Besteller. Der Besteller muss somit beweisen, dass der Mangel durch den Unternehmer verursacht wurde. | |
5 Jahre nach Abnahme | 5 Jahre nach Abnahme |
Die Ansprüche des Bestellers eines unbeweglichen Werkes aus Mängelhaftung sind nach Art. 371 Abs. 2 OR verjährt. Wurden die Mängel absichtlich verschwiegen, verjähren die Mängelrechte nach Art. 210 Abs. 6 OR nicht (umstritten, andere Lehrmeinung vertritt 10 Jahre). | Mängelrechte sind verjährt. |
10 Jahre nach Abnahme | |
Rechte aus absichtlich verschwiegenen Mängeln sind verjährt. |
Sonderproblem:
Abtretung der Gewährleistungsansprüche
Abtretung
Eine besondere Aufmerksamkeit verlangt auch die Abtretung der Gewährleistungsansprüche nach Art. 165 Abs. 1 OR. Der Verkäufer oder auch der Generalunternehmer[5] tritt bei dieser Lösung, die ihm gegenüber den am Bau beteiligten Handwerkern zustehenden Gewährleistungsansprüche an den Käufer ab und zeichnet sich selbst davon frei. Dadurch kann der Besteller an Stelle des Verkäufers oder Generalunternehmers die Mängelansprüche gegenüber den einzelnen Beteiligten Subunternehmer geltend machen. Aber
diese - auf den ersten Blick sehr elegant und für den Käufer äusserst interessant anmutende - Lösung bringt hingegen einige Probleme mit sich:
Gemäß der derzeitigen Rechtsprechung und Lehre können die Gewährleistungsansprüche, die zwischen Verkäufern, Bauunternehmern und anderen Unternehmern gelten, nur teilweise auf den Käufer übertragen werden. Nur das Recht auf Nachbesserung und das Recht auf Mangelfolgeschaden sind daher übertragbar.[6] Im Gegensatz dazu sind die Rechte an Minderung und Wandel nicht abtretbar. Dies liegt darin begründet, dass die Rechte auf Minderung und Wandelung nach herrschender Lehre und bundesgerichtlicher Rechtsprechung unselbständige (akzessorische) Gestaltungsrechte sind, die untrennbar mit dem Werkvertrag verknüpft sind.[7]
Darüber hinaus sollte nicht unterschätzt werden, dass der Käufer bei Mängeln meist mit mehreren Gegenparteien konfrontiert ist. Somit ist es für den Käufer oft kaum überblickbar, welche Gewährleistungsansprüche ihm zur Verfügung stehen. Denn jeder Vertrag mit einem Subunternehmer kann unterschiedliche Garantien oder auch Fristen beinhalten, da auch sie von den allgemein geltenden Grundlagen abweichen können. Somit kennt die Käuferschaft oftmals nicht den genauen Inhalt und die geltenden Fristen zwischen dem Verkäufer und den Subunternehmen.
Auch problematisch ist der Umstand, dass Mehrfachabtretungen möglich sind. Also kann ein Subunternehmer weitere Subunternehmen beauftragen, dessen Mängelrechte wiederum an den letztendlichen Käufer abgetreten sind. Unter gewissen Umständen bildet sich so eine Kette von Nachverfolgungen, welche die Übersicht über die Ansprüche sehr zu Lasten des Käufers erschweren kann.
Spezialfall Stockwerkeigentum
Auch im Falle einer Stockwerkeigentümerschaft ist Vorsicht geboten. Im Grundsatz muss der bei Mängeln am Stockwerkeigentum einzeln die jeweiligen Gewährleistungsansprüche geltend gemacht werden. Gemäss neuer Rechtsprechung des Bundesgerichts kann jeder Stockwerkeigentümer dieses Nachbesserungsrecht für das gesamte Stockwerkeigentum, das heisst nicht nur wie bisher im Umfang seiner eigenen Stockwerkseigentumsquote, geltend machen (vgl. BGE 145 III 8, E. 3.5). Diese Änderung ist grundsätzlich zu befürworten. Insbesondere bei gemeinsam genutzten Teilen des Gebäudes ist es vorteilhaft, wenn jeder Stockwerkeigentümer die Gewährleistungsansprüche gegenüber dem vollen Umfang innehat. Dadurch muss sich nicht jeder Stockwerkeigentümer dem Vorhaben anschliessen.[8]
Wiederum bringt es Probleme innerhalb der Stockwerkeigentümerschaft mit sich. Denn wenn ein Stockwerkeigentümer lieber den Gewährleistungsanspruch der Nachbesserung will, hätte ein anderer vielleicht lieber eine Minderung. Also müssen sich die Stockwerkeigentümer eher absprechen und zu einer gemeinsamen Lösung kommen. In der Praxis gestaltet sich dies oftmals schwer. Jeder Stockwerkeigentümer hat eigene Interessen und die Verhältnisse unter den Eigentümer sind nicht immer die besten. Somit ist es im Stockwerkeigentum sinnvoll, die Gewährleistungsansprüche der Stockwerkeigentümergemeinschaft abzutreten, damit diese unterschiedliche Gewährleistungsrechte der Stockwerkeigentümer koordinieren kann.
Es gelten jedoch dieselben Einschränkungen und Nachteile, wie bei der allgemeinen Abtretung der Gewährleistungsansprüche. Einerseits die Unmöglichkeit, ein Wandelungs- oder Minderungsrecht abzutreten, andererseits die Probleme des unsicheren Vertragsinhaltes mit den einzelnen Subunternehmern.[9]
Fazit
Somit ist festzuhalten, dass es als Käufer/Bauherrschaft sinnvoll ist, sich über die vertraglich vereinbarten Fristen und Gewährleistungsansprüche zu informieren und vom Verkäufer eine Liste mit den beauftragten Subunternehmern und den geschlossenen Verträgen zu verlangen.
Wenn Mängel auftauchen, ist dadurch ein geordneter Ablauf möglich und es nimmt dem Käufer zusätzliche Stressfaktoren. Insbesondere fehlendes Wissen sollte nicht zu einem faktischen Nachteil führen, durch welchen Fristen verpasst werden oder schlicht die vorhandenen Ansprüche nicht geltend gemacht werden.
[1] Gauch Peter, Vierter Teil: Die Mängelhaftung des Unternehmers im Besonderen / III. Die Mängelrechte des Bestellers im Allgemeinen, Der Werkvertrag, N 1487-1490
[2] BGE 115 II 459
[3] Urteil 4C.82/2004 vom 3. Mai 2004 E. 2.3
[4] BGE 118 II 142
[5] Berwanger Jörg / Dautzenberg Norbert, Generalunternehmer, 05.07.2023,
in: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/generalunternehmer-32175/version-389189
[6] BGE 114 II 239 E. 5c/bb
[7] Kaufmann Rüedi, Probleme bei Grundstückkaufverträgen, in: Immobilia, Dezember 2001
[8] Risse Barbara / Tanner Laura, Die Abtretung von Mängelrechten im Stockwerkeigentum, in: Smart Media, Juli
2020
[9] Bieri Urban, Die Abtretung von Mängelrechten an die Stockwerkeigentümergemeinschaft und deren
Durchsetzung, in: Luzerner Tag des Stockwerkeigentums 2019, S. 7-8